Expertendiskussion zur Rolle von zukunftsbezogenen Klimakennzahlen in Dekarbonisierungs-Portfolios

Dr. Jieyan Fang-Klingler, Dr. Maximilian Stroh und Frederik Wisser teilen zukunftsweisende Erkenntnisse zum Thema Klimadaten und Dekarbonisierung von Portfolios aus ihrem neuen working paper “Back to the Future: The Role of Forward-looking Climate Metrics in Decarbonization Portfolios“. Im Interview erläutern sie ihre Erkenntnisse und geben einen Ausblick auf weitere Forschungsvorhaben im ESG-Bereich.

 

Worum geht es in eurem Paper und was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Jieyan: In dem Paper untersuchen wir Klimakennzahlen, die einen Zusammenhang mit dem zukünftigen Emissionsverhalten von Unternehmen aufweisen. Wir analysieren, ob sie sich dafür eignen, Unternehmen zu identifizieren, die eine nachhaltige Transformation anstreben. Zu den wichtigsten Ergebnissen der Studie zählt, dass Unternehmen mit Klimazielen, also CO2-Reduktionsziele oder klimafreundliche Patente, in den Folgejahren tatsächlich ein geringeres Wachstum der Emissionen aufweisen als vergleichbare Unternehmen ohne Klimaziele. Oft gehen zukunfts- und vergangenheitsorientierte Klimakennzahlen aber nicht miteinander einher – zum Beispiel haben Unternehmen mit aktuell hohen Emissionen meist ambitioniertere Klimaziele. Zudem haben wir herausgefunden, dass Publikumsfonds stärker auf rückwärts gerichtete Klimakennzahlen ausgerichtet sind.

Was war eure Motivation, das Paper zu schreiben?

Frederik: ESG-Themen sind in den vergangenen Jahren in den Fokus geraten. Bei Quoniam schauen wir uns schon länger an, wie man ESG am besten ins Portfolio bekommt – und zwar nicht nur oberflächlich, sondern durch die Nutzung eines datengetriebenen, wissenschaftlich fundierten Ansatzes. Dabei ist uns aufgefallen, dass bei der Klima-Bewertung von Unternehmen hauptsächlich Emissionen aus der Vergangenheit betrachtet werden. Dabei sollte man auch berücksichtigen, wie in Zukunft Emissionen weiter reduziert werden. Eine reine Konzentration des Portfolios auf vergangene Emissionsdaten schließt zwar emissionsreiche Industrien aus, aber damit auch potenziell starke Transformationskandidaten. Schließlich sollten Unternehmen, die heute hohe Emissionen haben, zeitnah ihre nachhaltige Transformation realisieren. Bei dieser Fragestellung hat uns die Neugier gepackt und wir wollten herausfinden, wie dieses Transformationspotenzial im Portfolio erfasst werden kann.

„Eine reine Konzentration des Portfolios auf vergangene Emissionsdaten schließt zwar emissionsreiche Industrien aus, aber damit auch potenziell starke Transformationskandidaten.“

Dr. Frederik Wisser,
Research Forecasts

Zunächst wollten wir allgemein die Daten und den Zusammenhang zwischen den vielen Metriken, die es im ESG-Bereich gibt, verstehen. Bei der Datenanalyse haben wir gemerkt, dass grüne Patente teilweise mit CO2-Emissionen korrelieren, also Unternehmen mit mehr grünen Patenten tendenziell höhere CO2-Emissionen haben. Das fanden wir merkwürdig, weshalb wir unsere Analysen dazu vertieft haben.

Gab es bisher schon weitere Forschung zum Thema Transformationspotenzial und zukunftsorientierte Klimadaten?

Frederik: Dazu direkt noch nicht. Die meisten Paper fokussieren sich bisher auf vergangenheitsbezogene Daten. Eine Ausnahme ist unter anderem die Forschungsarbeit von Cohen et al. (2021)i , die in ihrem Paper den Zusammenhang erkennen, dass Unternehmen mit hohen Emissionen, zum Beispiel Energieunternehmen, eine hohe Anzahl an umweltbezogenen Patenten haben. Sie stellen in Frage, ob es richtig ist, solche Unternehmen per se aus dem Portfolio auszuschließen. In unserem Paper haben wir diese Frage weiter vertieft und geschaut, ob Unternehmen mit guten zukunftsorientierten Metriken bzw. Klimazielen tatsächlich ihre Emissionen reduzieren.

Jieyan, du hast euer Paper vor Kurzem bei der Frontiers of Factor Investing Conference an der Lancaster University vorgestellt. Wie waren die Reaktionen?

Jieyan: Auf der Konferenz waren sowohl Praktiker aus der Finanzbranche als auch Akademiker vertreten. Von beiden Seiten wurde das Paper mit großem Interesse aufgenommen. Eine Research-Kollegin von einem anderen Asset Manager berichtete mir, dass sie ebenfalls gerne zukunftsgerichtete Daten untersuchen möchten, aktuell aber noch zögern, da es bisher keine einheitlichen regulatorischen Vorgaben dazu gibt – und unser Paper daher besonders spannend sei, um Einblicke in dieses recht neue Thema zu erhalten. Die Konferenzteilnehmer aus der akademischen Welt stimmten dem zu und interessierten sich ebenfalls für unser Paper, da es, wie eben schon gesagt, noch nicht viele Erkenntnisse zu entsprechenden Forschungsfragen mit zukunftsorientierten Klimadaten gibt.

„Zu den wichtigsten Ergebnissen unserer Studie zählt, dass Unternehmen mit Klimazielen in den Folgejahren tatsächlich ein geringeres Wachstum der Emissionen aufweisen als vergleichbare Unternehmen ohne Klimaziele.“

Dr. Jieyan Fang-Klingler,
Co-Head of Research Forecasts

Auch außerhalb solcher Konferenzen stehen wir im Austausch mit verschiedenen Hochschulen, zum Beispiel mit dem Lehrstuhl Finance & Banking von Marco Wilkens an der Universität Augsburg, der sich stark mit dem Thema Klima beschäftigt. Dort werden wir Anfang November Professor Wilkens, Doktoranden und PostDocs des Lehrstuhls die Ergebnisse unseres Papers vorstellen und gemeinsam diskutieren.

Wie passt das Thema in unsere ESG Research Roadmap? Plant ihr weitere Analysen zum Thema ESG bzw. Klima?

Max: Ja, auf jeden Fall. Schon allein, weil wir gerade dabei sind, unser neues Klimaprodukt Quoniam Equities Climate zu launchen, gewinnt das Thema weiter an Bedeutung. Auch die Regulatorik entwickelt sich permanent fort: Wie Jieyan bereits gesagt hat, ist noch nicht vollständig klar, welche Anforderungen an zukunftsbezogene ESG-Metriken von Seiten der Politik gestellt werden. Wichtig ist für uns im Research zurzeit vor allem, zu verstehen, welche Daten es gibt und wie man sie nutzen kann. Dabei hilft uns auch unsere Zugehörigkeit zur Union-Investment-Gruppe, denn wir tauschen uns immer wieder intensiv mit deren Expertinnen und Experten in Sachen ESG aus.

„Klima ist ein wichtiges, spannendes, schnelllebiges Investmentthema. Wir im Research bleiben am Ball, sowohl inhouse als auch in der Kooperation mit der akademischen Welt.“

Dr. Maximilian Stroh, CFA
Head of Research

Zudem suchen wir weiter die Kooperation mit der akademischen Welt. Künftig möchten wir zum Beispiel mit Hochschulen zusammenarbeiten, um zukunftsbezogene Datensätze im Rahmen gemeinsamer Forschungsprojekte tiefer zu durchleuchten. Dafür wird unser ESG-Team ab Dezember von einem neuen Praktikanten unterstützt, der einen vielversprechenden Datensatz für spätere Analysen genauer aufarbeiten soll. Im Rahmen unseres Quoniam Doctoral Programme haben wir außerdem geplant, potenzielle Zusammenhänge zwischen Asset Pricing und ESG-Metriken besser zu verstehen.

Eines steht fest: Klima bleibt ein wichtiges, spannendes, aber auch schnelllebiges Investmentthema. Und wir bleiben am Ball.

Hier können Sie das gesamte Working Paper lesen (auf Englisch):

Working Paper (SSRN)

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i Cohen, L., U. Gurun, and Q. Nguyen. 2021. The ESG–Innovation Disconnect: Evidence from Green Patenting. European Corporate Governance Institute – Finance Working Paper No. 744/2021. doi:10.2139/ssrn.3718682