Wie KI und menschliche Expertise gemeinsam die Anlagewelt verändern

Artificial Intelligence, Machine Learning und Big Data revolutionieren auch den Finanzsektor – es klingt verlockend, die Vermögensanlage an Algorithmen zu delegieren, die offensichtlich deutlich schneller analysieren und entscheiden können als menschliche Portfoliomanager. Doch auf den Finanzmärkten gilt seit jeher: Vorsicht vor einfachen Lösungen – eine Innovation allein ist kein Garant für Performance. Worauf Sie bei der Auswahl von KI-gestützten Investmentlösungen achten sollten und wie wichtig menschliche Expertise bleibt, diskutiert Nigel Cresswell, CFA.

Nigel Cresswell, CFA
CEO, Managing Partner

Tägliche Herausforderungen im Portfoliomanagement

Portfoliomanager müssen täglich zahlreiche Entscheidungen treffen. So wäre es für Anleger vorteilhaft, wenn KI beispielsweise eine fundierte Aktienanalyse abliefern würde, auf deren Basis dann eine Investition getätigt wird. Doch auch wenn es angesichts der verblüffenden Fähigkeiten von ChatGPT & Co. verwundert: Autonome Entscheidungen sind (derzeit) noch nicht drin – dafür können KI-Anwendungen Portfoliomanager bei einer Vielzahl der täglichen Aktivitäten unterstützen.

Keine autonomen Entscheidungen

Eine Software wie ChatGPT kann Texte erstellen, deren Struktur sie nahezu unendlich oft gesehen hat, aber die Interpretation von Unternehmens- und Kapitalmarktdaten im Hinblick auf eine unsichere Zukunft mit vielfachen, wechselnden und sich verstärkenden wie auch kompensierenden Einflussfaktoren gehört (noch) nicht zum Repertoire. Portfoliomanager treffen Investitionsentscheidungen, indem sie Zusammenhänge zwischen qualitativen oder quantitativen Eingangsdaten und potenziellen Kursbewegungen erkennen, bewerten und in die Zukunft projizieren.

Wie stark ein solcher Zusammenhang ist, beschreibt etwa die Signal-to-Noise-Ratio. Diese ist beispielsweise besonders gut bei KI-basierter Spracherkennung. Hat ein Large-Language-Modell (LLM) wie ChatGPT die komplexe Syntax von Sprache erst einmal vollständig modelliert, dann wird es die meisten Formulierungen richtig interpretieren und umsetzen können. Allerdings fordern die Komplexität der Modelle und die unzähligen Parameter viele Daten zum Training und eine lange Rechenzeit. ChatGPT hat also mit hunderten Millionen von Stimmen und Worten aus dem gesamten Internet „trainiert“, bevor die Software einsetzbar wurde und sinnhafte Anweisungen daraus extrahieren konnte.

Die Signal-to-Noise-Ratio an den Kapitalmärkten ist dagegen eher niedrig – ein großer Teil der Kursbewegungen von Aktien lässt sich gerade nicht auf Bewertungskennzahlen zurückführen und erscheint daher zunächst nicht einfach erklärbar. Zudem stehen an den Kapitalmärkten relativ wenige Datenpunkte für das Training zur Verfügung, wenn es um die Prognose langfristiger Kursentwicklungen geht. Im Vergleich zum Datenreichtum von Sprache sind die Kursdaten von 5.000 globalen Aktien aus 30 Jahren Börsenhandel im Grunde „Small Data“. Zudem sind die Beziehungen zwischen Finanzdaten im Zeitverlauf instabil – ganz im Gegensatz zur Spracherkennung, die immer wieder ähnliche Aufgaben löst.

Eine Herausforderung für KI-Modelle ist zudem, dass die Entwicklungen an den Kapitalmärkten auch durch unvorhergesehene bzw. unvorhersehbare Ereignisse bestimmt werden. Das beschreibt die „Modellvarianz“: Was in einem Jahr ein nachweisbarer Zusammenhang ist, kann im nächsten Jahr zerfallen – und damit könnten „falsche“ Entscheidungen die Folge sein. Die mit den Daten der Vergangenheit trainierten KI-Modelle haben naturgemäß Schwierigkeiten, auf neue Zusammenhänge zu reagieren, wie sie an den Finanzmärkten mit einer gewissen (Un-)Regelmäßigkeit vorkommen.

Was spräche außerdem dagegen, „reine“ KI-Strategien zu implementieren, die keine Erklärungen für Investitionsverhalten liefern? Solche Black-Box-Entscheidungen sind für treuhänderische Vermögen nicht akzeptabel – es muss nachvollziehbar sein, warum Anlageentscheidungen getroffen wurden. Würde der gesamte Investmentprozess an eine KI delegiert, dann wäre dies nicht mehr gewährleistet – das entspricht weder den Ansprüchen der Anleger noch der Regulatorik.

Effizienzsteigerung von Analysen und Prozessen

Auch heute ist das Asset Management vielerorts trotz eindrucksvoller technischer Möglichkeiten noch immer stark durch eine Vielzahl kleinteiliger und arbeitsaufwendiger Workflows geprägt. KI kann hier Portfoliomanager und Analysten deutlich entlasten und auch für Anleger Mehrwerte schaffen.

  • Produktivitätserhöhungen im Investmentprozess, indem typische Abläufe wie das Lesen von Research Reports, Emissionsprospekten, Jahres- und Finanzberichten etc. an Bots delegiert werden, die dem Portfoliomanagement in kurzer Zeit Antworten auf konkrete Fragen liefern
  • Verbesserung von Sentiment-Analysen und Entscheidungsqualität, da den LLMs sehr viele Input-Daten zur Verfügung stehen, die zusammen ein zuverlässigeres Bild liefern als eine ausschließliche Betrachtung des Kursverlaufs
  • Zeitersparnis, wenn Analysten die gesamte wissenschaftliche Literatur zu einem Thema rasch auswerten können
  • Flexibilitätsgewinn, da Portfolios sich nach flexiblen Kriterien analysieren lassen, um etwa Antworten auf die Frage nach ad hoc aufgetretenen geopolitischen Risiken zu finden
  • Servicesteigerung durch neue Reporting Solutions, die es Anlegern ermöglichen, einer KI-Anwendung direkt Fragen zum Portfolio zu stellen
  • Technologiesprung, da sich die Entwicklung proprietärer Software und angepasster KI-Modelle durch automatische Code-Generierung beschleunigt

Quantitative Asset Manager mit Vorsprung bei KI-Nutzung

Unter den institutionellen Investoren sind die quantitativ orientierten Asset Manager die am stärksten daten- und modellorientierten Investoren. Essenzieller Teil ihres Anlageprozesses ist die tiefgreifende Analyse von Daten, um systematisch Anlage-Signale zu entdecken – dabei ist permanente Innovation und Anpassung an den Wandel der Märkte erfolgskritisch. Es ist aufschlussreich, ihren Ansatz zur Nutzung von KI zu betrachten, um Erkenntnisse über die Herausforderungen, Potenziale und (derzeitigen) Grenzen von KI zu gewinnen.

Im quantitativen Asset Management sind KI-Ansätze seit vielen Jahren im Einsatz – mit ihren Vor- und Nachteilen: Sie können unter anderem auch nichtlineare Zusammenhänge besser abbilden, aber eben auf Kosten von Stabilität und Zuverlässigkeit. Daher ziehen die Portfoliomanager den größten Nutzen derzeit auch nicht aus der vollständigen Delegation von Anlageentscheidungen, sondern nutzen die Möglichkeiten von KI eher als Werkzeuge, etwa zur Datenaggregation und -aufbereitung: Generative KI, wie die neuen Large-Language-Modelle, kann selbst sehr umfangreiche und unstrukturierte Texte „verstehen” und daraus Signale oder Scores generieren. Es werden aber weiterhin menschliche Analysten und Portfoliomanager benötigt, um diese Signale in den Kontext der Kapitalmärkte einzuordnen und sie zusammen mit klassischen Einflussfaktoren in stabile und zuverlässige Prognosemodelle zu integrieren.

Quantitative Asset Manager kennen die Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration von KI: Die Strukturierung und Konfiguration der Investmentprozesse muss durch Kapitalmarktexperten und Data Scientists erfolgen. Sie erfordert ein hohes technologisches Know-How, Erfahrung in statistischer Modellierung und eine cloud-basierte Infrastruktur, über die derzeit nur wenige, hoch spezialisierte Asset Manager verfügen.

Auf absehbare Zeit wird die Weiterentwicklung der Technologie neue faszinierende Möglichkeiten im Asset Management eröffnen, aber den menschlichen Portfoliomanager zunächst nicht ersetzen, sondern dabei unterstützen, immer effizienter zu werden.